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Beitrag im SWR Umwelt-BLOG: Waldsterben? Nein: Forststerben!

2018/19 im Pfälzerwald im Schirmschlag aufgelichteter alter Buchenwald mit Harvestereinsatz
2018/19 im Pfälzerwald im Schirmschlag aufgelichteter alter Buchenwald mit Harvestereinsatz

Besser kann man es für Waldschützer und Waldliebhaber nicht auf den Punkt bringen, als Axel Weiß es am 01.08.2019 in einem Beitrag zum SWR-Umweltblog getan hat. Deshalb zitieren wir hier aus seinem Beitrag, der dieser Tage unter dem Eindruck des Klöcknerischen Pflanzaktionismus besondere Bedeutung gewinnt:

 

"Ach Du Deutscher Wald, was ist nur aus Dir geworden?! Mühsam hatten wir Dich aufgepäppelt nach den mittelalterlichen Misshandlungen, auch die letzten Reparationshiebe nach dem 2. Weltkrieg schienen verkraftet, die Wunden flächendeckend befichtet. Und jetzt das: 100 Millionen, ja, 100 Millionen Altbäume sind bereits abgestorben, sagt der Bund Deutscher Forstleute, und viele Millionen weitere Bäume werden folgen. Ein Festmahl für Kupferstecher und Buchdrucker sowie diverse Pilze. Und was die nicht mögen vertrocknet. Also, es wird doch noch Ernst mit dem Waldsterben.

 

In den 1980er-Jahren war davon ja schon mal die Rede, aber weil der Schwefel aus Schornsteinen verbannt wurde lichteten sich zwar massiv die Kronen, aber der Wald als solcher blieb meistens stehen. Und so kehrte wieder Ruhe ein über allen Wipfeln.

 

Friedhofsruhe. Der Waldschadensbericht wurde zum Waldzustandsbericht und der, nunja, hat in den letzten Jahren kaum noch jemanden hinterm Holzofen vorgelockt. Er stand ja noch, der Wald. Dass zwei Drittel aller Bäume nicht gesund waren, achgottchen, Schwamm drüber. Nur: Wer schon kränkelt, wird schnell richtig krank. Ein paar Grad mehr, ein paar Liter Niederschlag reichen. Mit dem Wald geht’s uns wie mit dem Gesundheitswesen: Kostengünstiges Vorbeugen wird selten bezahlt, die teure OP später dann schon.

Betroffen sind jetzt nicht mehr nur Fichten, sondern auch Kiefern und selbst Ahorn, Eschen, Buchen vertrocknen.

 

Die Forstwirtschaft, die jetzt alles auf den Klimawandel abschieben will, muss sich freilich einige Fragen gefallen lassen: Habt ihr den Forst auch in der Praxis so konsequent naturnah umgebaut wie das auf dem Papier schon seit einem Vierteljahrhundert gefordert war? Also: Keine Alterklassen mehr sondern auch altersmäßig gut durchmischte Wälder mit hohem Laubholzanteil? Oder seid ihr den unvermindert lockenden Sirenenklängen der Sägeindustrie erlegen: mehr Nadelholz, mehr Nadelholz, der Weltmarkt droht! Wurde die ungeeignete Fichte einfach vielerorts durch die leider auch ungeeignete Douglasie ersetzt? Wieviel mächtige große Bäume älter als 140 Jahre stehen eigentlich noch im Deutschen Wald – oder ist der unter diesem Aspekt eher ein biomasse-armes „Deutsches Wäldchen“, weil ihr nach und nach alle schattenspendenden Mutterbäume entfernt habt?

 

Und noch etwas: Wurde in den letzten zwanzig Jahren nicht der Holzeinschlag mal eben verdoppelt? Haben erst schwere Maschinen und Vollernter die Böden verdichtet, die jetzt kein Wasser mehr ausreichend speichern können, jahrelang alle 20 Meter eine Rückegasse? Und nun verdunsten die durch die Gier nach schwarzen Zahlen aufgelichteten warmen Wälder jetzt mehr als ihnen gut tut? Das muss uns nicht wundern, Stichwort: Schirmschlag, Lichtwuchsbetrieb.

 

Dass es den größeren Buchen selbst im Nationalpark Hainich in Thüringen auch nicht gut geht: leider kein Trost, der Hainich wurde jahrelang übernutzt bevor er Schutzgebiet wurde, das korrigiert sich nicht in wenigen Jahren.

Ein letztes: Sehen Förster eigentlich den Wald vor lauter Holz in ihren Großrevieren noch? Oder wurde der alte Generationenvertrag, das Denken in Jahrhunderten, den rabiaten Einsparungen in der Verwaltung und aufgeblähten Reviergrößen geopfert? Die Hälfte aller Försterstellen wurde in den letzten 25 Jahren nicht wieder besetzt.

 

Das alles sind Fragen, die will jetzt keiner hören. Wir sind im Katastrophenmodus und jetzt muss gehandelt werden, zackzack. Zu Hilfe, der Klimawandel kommt. Krisengipfel, Masterplan! Milliardeninvestitionen! Frau Merkel: betroffen! Frau Klöckner: betroffen! Und prompt geht’s wieder genau in die falsche Richtung. Aufforsten! Nur: Womit eigentlich?

 

Wir haben keine Ahnung, welche Baumarten, welche Waldtypen tatsächlich zukunftsfest sind. Wer hält Käfern und Pilzen und Wasserentzug und Starkregen stand – und auch noch, sobald in Massen angebaut wird? Solange wir Spätfröste haben nutzen hitzeresistente Mittelmeerarten wenig. Kippt der Golfstrom, kriegen wir eh ein Kälteklima wie in Nordkanada.

Wer Fachleute nach zukünftigen Baumarten fragt erntet ehrlicherweise hilflose Ratlosigkeit. Libanonzeder? Roteiche? Niemand weiß es. Aber zum Ausprobieren fehlt die Zeit: Wir reden schließlich über die Verantwortung für hundert, 150, 200 Jahre!

 

Wir müssen JETZT den Wald der Zukunft schaffen. Nachhaltigkeit allein reicht schon lange nicht mehr, wir brauchen Naturnähe und Vielfalt. Wie am Aktienmarkt: nicht alles auf eine Karte setzen, sondern Risiken streuen. Wir brauchen vor allem keine aktionistische Wiederaufforstung: Was wir brauchen ist eine echte Wiederbewaldung. Die Natur erst mal machen lassen, bevor wir korrigieren.

 

Wirklich naturnahe Buchenwälder zeigen bisher kaum negative Reaktionen auf die Erwärmung. Aber die haben auch mindestens die doppelte Biomasse wie Wirtschaftswälder. Sie sind kleinräumig strukturiert, ihre Arten durch natürliche Selektion angepasst. Ein weitgehend geschlossenes Kronendach hält die Feuchtigkeit darunter.

Und: Wir werden damit leben müssen, mit weniger Holz auszukommen. Auch Holz ist eine wertvolle Ressource, kein Wegwerfartikel. Das bisherige Konzept der Forste ist jedenfalls gescheitert. Um das zu erkennen reicht derzeit ein Blick auf den vielerorts traurigen Zustand unserer Baumplantagen, die wir so liebevoll wie falsch „Wald“ nennen.

 

Quelle:

https://www.swr.de/blog/umweltblog/2019/08/01/waldsterben-nein-forststerben/#comment-1546